Manuskript

Nur keine enge Bindung!

Sie verlieben sich schnell und gehen genauso schnell eine Beziehung ein. Aber sobald das Gefühl nachlässt, sind sie wieder weg: Menschen, die Angst vor einer dauerhaften Bindung haben. Doch man kann etwas dagegen tun.

Der Himmel hängt voller Geigen, jemand ist im siebten Himmel, schwebt auf Wolke sieben, könnte Bäume ausreißen. Das sind deutliche Anzeichen für Verliebtheit. Doch plötzlich, so nach einem halben, dreiviertel Jahr, wird Distanz zum Partner aufgebaut und das Gefühl macht sich breit: ‚Ich möchte raus aus der Beziehung.‘ Dann geht die Suche nach einem Partner von vorne los. Die neue Liebe ist meist schnell gefunden – und wird auch bald wieder verlassen. Ein Kreislauf, der typisch ist für Menschen mit Bindungsangst. Nicht nur unser Körper, sondern auch die heutige Zeit macht es diesen Menschen leicht, meint die Psychologin und Psychotherapeutin Doris Wolf:

„[Ein] Problem ist, dass ja in der Verliebtheit ganz starke Drogen ausgeschüttet werden in unseren Köpfen, also Serotonin, Dopamin, Opiate, so ’n Cocktail. Und der führt natürlich dazu, dass wir uns überhaupt einlassen so tief. Und jetzt [gibt’s] ’n paar Probleme damit. So haben wir uns früher nicht so schnell verliebt, wir haben uns nicht in Fremde verliebt. Das macht man ja heute ganz schnell.“

Verliebt sich jemand, schüttet der Körper verschiedene chemische Botenstoffe aus, die für das Glücksgefühl sorgen: Dazu gehören Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und Endorphin. Diese körpereigene chemische Mischung, dieser Cocktail, versetzt Verliebte in eine Art Rauschzustand, den auch Drogen, Opiate, hervorrufen. Er führt dazu, sich auf einen anderen Menschen einzulassen, mit ihm zusammen sein zu wollen. Weil uns die Liebesdrogen das Hirn vernebeln, sehen wir aber erstmal gar nicht, wen wir da eigentlich vor uns haben. Heutzutage geht das mit dem Verlieben über die zahlreichen Partnerschaftsbörsen und Dating-Apps ziemlich schnell. Meist sind es wildfremde Menschen, die man anschreibt oder trifft, weil einem das Foto und der Steckbrief gefallen. Früher war das soziale Umfeld im Dorf oder in der Stadt der Ort, wo man sich kennenlernte. Man traf sich bei Festen und Familienfeiern – eine ideale Kontaktbörse. Ob und wie sich eine Beziehung weiterentwickelt, hängt ganz wesentlich davon ab, welcher Bindungstyp jemand ist, sagt Doris Wolf:

Also es gibt vier klassische Bindungstypen: sicher gebundene Menschen, unsicher-ambivalent gebundene Menschen, unsicher-vermeidend gebundene Menschen. Und der vierte ist der destruktive. Also sie können davon ausgehen, dass vielleicht 30 Prozent sicher gebundene Menschen sind, 30 Prozent unsicher-ambivalent, 30 Prozent unsicher-vermeidend.“

Diese Bindungstheorie wurde Mitte des 20. Jahrhunderts von dem Kinderpsychiater John Bowlby und der Psychologin Mary Ainsworth entwickelt. Sie beobachteten das Verhalten von ein- bis anderthalbjährigen Kindern, die von der Mutter eine Zeit lang in einer fremden Umgebung allein gelassen wurden. Wer unter Bindungsangst leidet, gehört laut Doris Wolf selten zum Typ, der aufgrund traumatischer Erfahrungen in der Kindheit destruktiv, zerstörerisch, ist, sondern zu den unsicher-gebundenen Typen: 

„Diese unsicher-gebundenen Menschen, die haben halt mehr Schwierigkeiten, sich einzulassen, ’ne langfristige Bindung einzugehen. Und bei denen kommen vor allen Dingen Ängste stärker ins Spiel – entweder starke Verlustängste, dann klammern die sehr stark, oder starke Ängste davor, sich abhängig zu machen: ‚Der hängt mir jetzt an der Backe! Den werd’ ich nicht mehr los!‘ Oder: ‚Der kann mir zur Last fallen!‘“

Menschen mit Bindungsängsten haben als Kinder die Erfahrung gemacht, dass sie in bedrohlichen Situationen mit ihren Ängsten allein sind. So erscheinen Kinder mit unsicher-vermeidender Bindung äußerlich cool, reagieren aber mit Ablehnung auf die Bezugsperson – und diese kann das eigentliche kindliche Bedürfnis nach Geborgenheit nicht stillen. Das Kind erlebt das elterliche Verhalten als Ablehnung; eine schmerzhafte Erfahrung, die es möglichst nicht noch mal machen möchte. Zukünftig behält es seine Sorgen und Nöte deshalb lieber für sich und versucht, negative Emotionen so gut es geht zu vermeiden. Etwas anders verhält es sich mit dem unsicher-ambivalenten Kind. Es klammert, will die Bezugsperson festhalten. Diese tröstet das Kind zwar, macht ihm aber auch Vorwürfe wegen seines Verhaltens.

Solche Kindheitserfahrungen prägen einen Menschen das ganze Leben. Und so lässt er sich auch als Erwachsener nicht richtig auf andere ein, geht keine wirklich ernsthafte Bindung ein. Entweder verlässt so jemand den Partner dann, weil er Angst hat, den anderen ständig ertragen zu müssen, ihn dauerhaft an der Backe hängen zu haben, oder er klammert, lässt dem anderen keinen Raum für ein eigenes Leben, weil er Angst davor hat, ihn zu verlieren. Dahinter steckt laut Doris Wolf ein Muster, etwas, das immer wieder geschieht – vergleichbar mit einem Tanz, den jemand immer wieder tanzt, weil er ihm vertraut ist. Laut Doris Wolf gibt es dann zwei Möglichkeiten. Möglichkeit eins:

„Wenn man merkt: ‚Oh das ist ja ein Muster, und das passiert mir immer wieder‘, dann muss ich doch was dagegen machen. Da ist [es] ja durchaus legitim, mal zu sagen: ‚Oh, da hab ich mich getäuscht. Das ist doch nicht der Richtige.‘ Wir sagen doch irgendwie ‚Liebe macht blind‘, und dass man eben, wenn man nicht mehr blind ist, dass man nicht jetzt da auf Gedeih und Verderb bleiben muss.“

Verliebtheit als Ausnahmezustand ist selten von Dauer. Stellt jemand nach einiger Zeit fest, dass der andere nicht der richtige Partner ist, sollte er auch gehen und nicht auf Gedeih und Verderb, bedingungslos, bleiben. Das ist dann legitim, geschieht zu Recht und aus gutem Grund. Doch überwiegen die positiven Gefühle, lautet Doris Wolfs Rat:

„Wenn das nett ist mit dem anderen, dann gibt’s ja auch vieles, was einen verbindet. Dann gibt man das ja nicht sofort auf. Dann kann man ja sagen: ‚Och ja weißt du, jetzt will ich mal was mit meinen Freundinnen machen‘. Dann hockt man halt nicht mehr jeden Tag zusammen. Und das auszuhalten, in ’ner Beziehung zu bleiben, ohne gleich also das Kind mit dem Bade auszuschütten.“

Wer einer Beziehung eine Chance geben möchte, sollte redensartlich nicht „das Kind mit dem Bade ausschütten“, eine Beziehung beenden und sich in ein neues Abenteuer stürzen. Stattdessen, so die Psychologin, sollte jemand Nähe aushalten und gleichzeitig ein eigenständiges Leben führen können. Man muss nicht immer mit dem anderen zusammenhocken, alles mit ihm gemeinsam machen. Denn jeder sollte, so Doris Wolf, bedenken, dass der andere sich von einem unterscheidet, seine Eigenheiten hat:

„Wenn ich mit mir selber zusammen bin, habe ich ja keine Probleme. Ich verstehe mich immer. Aber sobald ’n anderer ins Spiel kommt: ‚Der verhält sich komisch, der macht Sachen, die ich anders machen würde.‘ Und je stärker man als Persönlichkeit ist, desto besser hält man ja auch die Eigenheiten des anderen aus.“

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